Wenn jemand innerhalb eines Familiensystems ein Problem oder ein Symptom entwickelt hat, gehen wir davon aus, dass dieses Problem zu dieser ganzen Familie gehört und sie somit im Ganzen betrachtet werden muss.
Die Annahme geht auch dahin, dass es Kommunikations- und Beziehungsstrukturen innerhalb dieser Familie zu geben scheint, die zur Herausbildung des Problems beigetragen haben könnten.
Außerdem nehmen wir an, dass es sich wiederholende Muster und Handlungsabläufe gibt, die einerseits dieses Problem aufrechterhalten und andererseits vom Problem aufrechterhalten werden. Diese Muster sind über mehrere Generationen beobachtbar und verlaufen über verbale und nonverbale Kommunikation.
Systemische (Familien-) Therapie setzt auf einer zweiten oder dritten Ebene an, d.h. nicht direkt dort, wo auf den ersten Blick das Problem zu liegen scheint. Sie fragt nach den verdeckten Regeln in einem Familiensystem, nach Mythen, Traditionen, wiederkehrenden Ereignissen, schweren Schicksalen und Themen und danach, aus welchen Menschen sich dieses Familiensystem zusammensetzt; das Mittel hierzu ist ein sog. Genogramm (siehe unten). Dies ist ein Schema, das – ähnlich wie ein Stammbaum – schnelle Erkenntnisse über alle Daten und Ereignisse in der betreffenden Familie liefert.
In der Therapie und Beratung arbeitet man sowohl mit der ganzen Familie als auch abwechselnd mit Einzelnen, Geschwistern, Eltern, Eltern und Kindern, Großeltern und Eltern usw.
Eine Therapie ist immer mehrgenerational angelegt.
Eine Familienaufstellung ist eine sehr wirksame Methode, um eine durch Verstrickung, Krankheit, unbewusste Identifikation mit einer ausgeschlossenen Person, nicht
betrauerte Todesfälle und schwere Ereignisse aus der Ordnung gebrachte Familie wieder in die gute und liebevolle Ordnung zu bringen in dem Sinn, dass alte Wunden geheilt werden können und alle Personen einen guten Platz im System haben. Für eine Familienaufstellung bereitet man sich vor, indem man sich innerlich an die Themen anschließt, die bisher im Leben schwer waren; die trotz eifrigem Bemühen zu keiner Lösung, sondern eher zu Traurigkeit, Verzweiflung und Krankheit geführt haben.
Zu einer Lösung kommt man durch das räumliche Positionieren der ”Familie” mit Hilfe
fremder Gruppenmitglieder. Sobald diese ”Familie” aus Stellvertretern steht, haben diese Personen Informationen, Empfindungen, Gedanken und Gefühle, die zu der tatsächlichen Familie gehören, obwohl sie darüber nicht informiert wurden. Phänomenologisch betrachtet, haben wir es hier mit einem Wahrnehmungsfeld zu tun, das sich nichtsprachlich bildet, vergleichbar mit dem, was sich ebenso nichtsprachlich in Familien über Generationen fortsetzt.
Nach mehreren Umstellungen kommt es dann zum einem Lösungsbild, das eine gute Wirkung auf alle im System hat und lange nachwirkt.
Nach einer Familienaufstellung braucht es unterschiedlich lange Zeit, diese neue Ordnung in das alte System zu integrieren bzw. sich integrieren zu lassen, ohne sogleich die Erlebnisse und Erkenntnisse aus der Aufstellung in eine Tat umzusetzen. Gute und ins Herz genommene Lösungen wirken von allein in gutem Sinne weiter.
Diese Methode der Systemaufstellung ist auf viele andere Systeme übertragbar, sei es auf ein Familienunternehmen, eine soziale Einrichtung, eine große wirtschaftliche Abteilung oder Organisation. Hierbei wird u.a. besonders darauf geachtet, wer die Gründerväter oder -mütter waren, mit welcher Hierarchie wir es zu tun haben, wer schon lange dort gearbeitet hat und evtl. Jemandem Platz gemacht hat, der erst kürzlich in den Betrieb eingetreten ist.
Fragen ohne Antwort
“…ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind.
Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können,
weil Sie sie nicht leben können. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen.
Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die
Antworten hinein.”
Rainer Maria Rilke
Brief an einen jungen Dichter